Künstliche Intelligenz ist ja spätestens seit dem Erscheinen von ChatGPT Ende 2022 das superheiße Thema und hat vorherige Tech-Hypes wie Kryptowährungen weitgehend abgelöst. Ich hatte da natürlich meine Ausprobierphase, aber insgesamt war die Entwicklung bis vor kurzem so, dass mein Bild immer negativer wurde. Grund dafür sind z.B. der immense Ressourcenverbrauch, die noch weitergehenden Möglichkeiten, die öffentliche Meinung zu manipulieren, und auch die enge Bande zwischen vielen Silicon-Valley-Größen und der Trump-Administration. Es wird hier in diesem Podcast ganz gut zusammengefasst. Ich habe schon angefangen, an meinem Beruf zu zweifeln, und mich zu fragen, ob ich überhaupt damit in Verbindung gebracht werden möchte.

Das hat sich in den letzten 2-3 Wochen ein wenig geändert. Ich habe nämlich das sogenannte „Vibe Coding“ für mich entdeckt. Der Begriff ist erst Anfang diesen Jahres entstanden und bezeichnet eine Art des Programmierens, bei der der Code zu (fast) 100% von einer KI generiert wird, so dass man nur noch mit Anweisungen in natürlicher Sprache formuliert, wie das Programm sich verhalten soll. Im Beruf kannte ich zwar schon ein KI-Tool, die Nutzung beschränkte sich aber im Wesentlichen darauf, die KI wie eine Suchmaschine zu fragen, oder vielleicht mal ein paar Kommentare, Doku oder Tests zu generieren. Bei einer deutlich sechsstelligen Anzahl Codezeilen ist man natürlich auch sehr vorsichtig und möchte nichts kaputtmachen. Vollgas geben, und wirklich mal testen, was geht, kann ich nur zu Hause.

Das begann mit Claude und einer kleinen Timer-App. Schon hier war es beeindruckend, einfach sagen zu können „Bau mal das ganze Progressive-Webapp-Zeug ein, damit es auf dem Smartphone gut aussieht“ - aber ich musste auch ein paar Dinge von Hand reparieren. Als nächstes kam dann etwas, was ich schon immer mal haben wollte: Die Möglichkeit, in meinem sehr geschätzten GeoGuessr die in den letzten Monaten „besuchten“ Orte als KML-Datei zu exportieren, um sie in Google Earth usw. darstellen zu können. Hier wurde schon eine „inoffizielle“ API benutzt und ich achtete ein wenig darauf, den Server nicht mit Requests zu bombardieren, um nicht den Account gesperrt zu bekommen.

Was habe ich jetzt bei dem Ganzen gelernt?

  • Es ist cool, mal wieder ein paar Hobbyprojekte zu haben. Die paar, die ich vorher auf Github hatte, waren sehr klein und/oder sehr angestaubt.
  • Man kann jetzt Dinge in Programmcode gießen, so schnell, wie man denken kann. Nicht mehr nur so schnell, wie man den Programmcode tippen kann. Man muss es nur noch in natürlicher Sprache tippen (viel kompakter)
  • Das lässt es für das Management so attraktiv aussehen. Das Management bleibt in dieser Stufe der Begeisterung stehen, weil es ja hauptsächlich an schnellen Ergebnissen interessiert ist, und nicht daran, wie sie zustandekommen. Und auch nicht immer daran, wie das Produkt langfristig betrieben und gewartet werden soll.
  • Grundsätzlich gab es früher schon Tools, um schnell und mit wenig Programmierkenntnissen zu vorzeigbaren Ergebnissen zu kommen („Rapid Application Development“, „Low Code“ usw., was auch immer das aktuelle Buzzword ist), diese waren aber deterministisch im Gegensatz zu natürlicher Sprache.
  • Natürliche Sprache ist unpräzise und doppeldeutig im Vergleich zu Programmcode und dadurch entstehen Fehler. Fehler entstehen aber auch so. Wo Software entwickelt wird, entstehen immer Fehler. Mehr oder weniger. Es geht darum, sie schnell zu finden, je früher, desto kostengünstiger und nervenschonender ist die Behebung.
  • Das „Vibe Coding“ kam mir jetzt manchmal so vor, als hätte ich einen immer freundlichen und willigen Junior-Entwickler zur Verfügung, der im Prinzip alles auswendig weiß, aber ein bisschen schusselig ist, beaufsichtigt werden muss und auch nur zwei Stunden am Tag arbeiten kann (im kostenlosen Plan von Claude…)
  • Man begibt sich stark in Abhängigkeiten und gibt Produktionsmittel aus der Hand, wenn man ohne KI nichts mehr entwickeln kann. LLMs von Grund auf aufsetzen und trainieren können aufgrund der immensen benötigten Rechenleistung nur große Unternehmen.
  • Es wurde schon viel darüber geschrieben, das die ganze Technologie strukturell „rechts“ oder konservativ sei (weil z.B. immer nur vorhandene Kulturgüter wiedergekäut werden, anstatt etwas wirklich neues zu schaffen), aber ein entscheidender Aspekt fehlt da noch: Man gewöhnt sich daran, Befehle zu geben, die widerspruchslos befolgt werden.
  • Etwa das, was Jürgen Geuter hier als „Reibungslosigkeit“ bezeichnet. Die Illusion einer Welt, die auf einen zugeschnitten ist. Dabei brauchen wir die „Reibung“, um die Bedürfnisse anderer Menschen zu erkennen und zu sozialen Wesen zu werden.
  • Du hast etwas, das deine Befehle stets willig ausführt. Das dir nie widerspricht. Ich habe noch keine KI gesehen, die mir gesagt hat „Nein, das geht so nicht. Überleg dir etwas anderes." Ich habe noch keine KI mit einer Meinung gesehen. Das muss irgendwann auf den Umgang mit Menschen abfärben.
  • Ich kann jetzt besser nachvollziehen, wie die Musks und Thiels denken.